Werkvertrag: Zusatzleistungen ohne genehmigten Nachtrag - kein Anspruch auf Bezahlung?
Regelmässig wird in Werkverträgen vereinbart, dass Zusatzleistungen nur ausgeführt werden dürfen, wenn die Mehrkosten vorgängig angezeigt und genehmigt wurden. Werden die Formvorschriften nicht eingehalten, bedeutet dies nicht automatisch, dass der Unternehmer seinen Anspruch auf Vergütung der Mehrkosten verliert.
Die Pflicht, Nachtragsforderungen und Mehrkosten vorgängig und schriftlich anzuzeigen, kann gültig vereinbart werden.
Werden diese Formvorschriften einmal nicht eingehalten, entfällt damit aber nicht automatisch der Anspruch des Unternehmers auf Vergütung der Zusatzleistungen.
Schriftliche Anzeige als Bedingung für die Vergütung von Mehrleistungen
“Zusatzleistungen, die nicht im Leistungsverzeichnis aufgeführt sind, sind vom Unternehmer vor Arbeitsausführung unaufgefordert schriftlich als Nachtrag zu den Bedingungen und Konditionen des Werkvertrags zu offerieren. Unterlässt er dies, hat er keinen Anspruch auf Vergütung dieser Leistungen.”
Welcher Unternehmer kennt solche, meistens in allgemeinen Vertragsbedingungen (AVB) enthaltenen Bestimmungen nicht.
Kann der Bauherr tatsächlich die Vergütung für ausgeführte Zusatzleistungen verweigern, weil der Unternehmer die Mehrkosten nicht schriftlich angezeigt hat?
Verweigerte Vergütung wegen fehlender oder nicht rechtzeitiger Anmeldung
Die Erstellung von Bauten ist häufig von unvorhergesehenen Vorkommnissen (z.B. betreffend Baugrund), Bestellungsänderungen oder Änderungen im Bauablauf begleitet, die zu Mehrleistungen des Unternehmers und dadurch verursachten Zusatzkosten führen. Gleichzeitig herrscht i.d.R. ein enormer Termindruck. Bei Verzögerungen drohen Konventionalstrafen, Schadenersatzforderungen oder kostspielige Beschleunigungsmassnahmen.
In dieser Situation wird die administrative Betreuung der Baustelle vom Unternehmer manchmal vernachlässigt. Mehrkosten werden nicht oder nicht rechtzeitig angemeldet resp. nachofferiert. Gerade wenn für alle Beteiligten klar ist, dass die Leistungen unerlässlich sind, wird manchmal die Genehmigung nicht eingeholt. Der Besteller verlangt seinerseits oft, dass die Arbeiten ohne Verzögerung weiter gehen.
Geht es dann ans Abrechnen, kommt es vor, dass der Bauherr die Bezahlung von Zusatzleistungen mit der Begründung verweigert, der Unternehmer habe seine vertragliche Anzeigepflicht nicht erfüllt und es liege entgegen der vertraglichen Vereinbarung keine schriftliche Genehmigung vor. Der Unternehmer habe infolge des Nichteinhaltens der Formvorschriften keinen Vergütungsanspruch.
Verlust des Vergütungsanspruchs?
Pflicht zur “Abmahnung” (Anzeige) von Mehrkosten?
Der Unternehmer hat in verschiedenen Fällen die gesetzliche und/oder vertragliche Pflicht, den Bauherrn auf Risiken, besondere Vorkommnisse etc. hinzuweisen. Verletzt er diese Pflicht, muss er allfällige Konsequenzen selbst tragen.
Für Mehrkosten, die aus bestellten Zusatzleistungen resultieren, sieht das Gesetz keine solche Anzeige- oder Abmahnungspflicht vor. Es gibt auch keine gesetzliche Pflicht, die besagt, Nachtragsforderungen seien zwingend vor ihrer Ausführung zu genehmigen.
Anders sieht es aus, wenn übermässige Kostenüberschreitungen drohen. Die allgemeine Sorgfaltspflicht des Unternehmers verlangt deren Anzeige ohne Verzögerung, damit der Bauherr in die Lage versetzt wird zu reagieren. Entsteht dem Bauherrn in Folge der unterlassenen oder verspäteten Anzeige ein Schaden, wird der Unternehmer schadenersatzpflichtig.
Vertraglich können die Parteien jedoch eine Anzeigepflicht und die Konsequenzen bei deren Missachtung praktisch beliebig vereinbaren.
Allgemeine Vertragsbedingungen (AVB)
Viele Bauherren, Planer, Total- und Generalunternehmer usw. verwenden sogenannte “AVB” (Allgemeine Vertragsbedingungen). Sie enthalten umfassende ergänzende Regelungen oder Änderungen von gesetzlichen Bestimmungen resp. der Norm SIA 118 Allgemeine Bedingungen für Bauarbeiten. Unter dem Markt- und/oder Zeitdruck werden die AVB oft kommentarlos vom Unternehmer akzeptiert, häufig auch, ohne sie genau zu lesen.
Sind die AVB Vertragsbestandteil und sind sie klar und verständlich formuliert, so gilt deren Inhalt als vertraglich vereinbart, auch wenn Regelungen einseitig zu Lasten des Unternehmers gehen. Sehen die AVB bei Zusatzleistungen eine vorgängige schriftliche Anzeige und Genehmigung vor, bei deren Verletzung der Unternehmer seinen Vergütungsanspruch verliert, handelt es sich um eine gültige vertragliche Vereinbarung, an die sich der Unternehmer zu halten hat.
Schriftlichkeitsvorbehalt
Verträge können nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich oder sogar stillschweigend (d.h. durch das Verhalten der Parteien) begründet, abgeschlossen oder geändert werden.
Auch ein Schriftlichkeitsvorbehalt kann mündlich oder stillschweigend aufgehoben werden. Allein die fehlende schriftliche Anzeige oder Genehmigung eines Nachtrags ist somit noch kein Grund, die Vergütung von Mehrkosten zu verweigern.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichts: Vermutung des redlichen Vertragspartners (Vertrauensgrundsatz)
Ein Leitgedanke unseres Rechtssystems besteht darin, dass sich jedermann bei der Ausübung seiner Rechte und Pflichten nach Treu und Glauben zu verhalten hat (Art. 2 ZGB). Es liegt ein Verstoss gegen Treu und Glauben vor, wenn der Besteller Mehrkosten ablehnt, weil die vertraglich vorbehaltene Form nicht eingehalten wurde, obwohl die Leistungen ohne Vorbehalt erbracht und angenommen wurden. Es ist unbillig auf der Leistungserbringung zu beharren (weil z.B. der Nachfolgeunternehmer sonst seine Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann) im Wissen, dass die Nachtragsofferte nicht vorliegt und damit die “Form” nicht eingehalten wurde. Die Vermutung ist daher berechtigt, dass die Parteien in diesem Fall auf das Formerfordernis verzichtet haben.
Bundesgerichtsurteil
Diese Beurteilung wurde vom Bundesgericht bezüglich des Abschlusses eines Werkvertrags bestätigt (BGE 4A_271/2007 vom 08.01.2008). Die Parteien vereinbarten die Schriftlichkeit des Vertragsabschlusses, d.h. sie wollten vor Erfüllung der Form nicht verpflichtet sein.
Das Gericht entschied, dass der Schriftlichkeitsvorbehalt hinfällig sei, wenn die vertraglichen Leistungen ohne Vorbehalt erbracht und angenommenen wurden, d.h. kein schriftlicher Vertrag vorlag.
Diese Rechtsprechung kann auf das Erfordernis der Schriftform von Nachträgen analog angewendet werden.
Fazit: Verhalten bei Zusatzleistungen
Sieht der Vertrag eine schriftliche Anzeige und Genehmigung von Nachträgen vor, sind diese Vorgaben wenn immer möglich einzuhalten. Wird dies unterlassen, schwächt der Unternehmer seine Position erheblich.
Das Prinzip von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr gilt selbstverständlich für beide Vertragsparteien. Das bedeutet, auch der Unternehmer hat sein Verhalten danach auszurichten. Es ist daher zu empfehlen, Mehrkosten vorgängig anzuzeigen und Nachträge wenn möglich vor Ausführung der Arbeiten zu bereinigen.
Lehnt der Besteller die Mehrkosten ab und verlangt trotzdem deren Ausführung, sollte der Unternehmer klar darauf hinweisen, dass er auf seiner Mehrkostenforderung beharrt. Im Fall von Mehrkosten ist daher wie folgt vorzugehen:
- frühzeitige Anmeldung;
- Bezifferung sobald als möglich;
- Im Fall der Ablehnung durch den Besteller auf der Forderung beharren (Anzeige).