Persönliche Haftung des Verwaltungsrats
Auch innerhalb einer Gruppe gilt für ein Darlehen das at-arms-length-Prinzip. Für nicht werthaltige Darlehen an eine Gruppengesellschaft haftet ein unsorgfältiges Verwaltungsratsmitglied persönlich.
Verwaltungsräte müssen die finanzielle Situation der geführten Unternehmen jederzeit kennen und kontrollieren. Dies gilt insbesondere auch für Tochtergesellschaften. Cash-Verschiebungen innerhalb von Holding-Strukturen, die ohne vertragliche Grundlage erfolgen, sind für Verwaltungsräte mit grossen Risiken verbunden. Die Gewährung ungesicherter Darlehen stellt eine Sorgfaltspflichtverletzung dar, wenn keine Aussicht auf Rückzahlung besteht.
Der Fall
Im September 2002 wurde über eine Bauunternehmung (bestehend aus einer Holding und mehreren Tochtergesellschaften) der Konkurs eröffnet. Im Konkursverfahren liessen sich Gläubiger die Verantwortlichkeitsansprüche abtreten und gingen gegen den Verwaltungsratspräsidenten und Delegierten der konkursiten Holding vor. Der Verwaltungsratspräsident wurde vom Handelsgericht Aargau zur Bezahlung von CHF 1 Mio. verurteilt. Das Bundesgericht bestätigte dieses Urteil (BGer Urteil 4A_74/2012 vom 18. Juni 2012).
Die dem Verwaltungsratspräsidenten vorgeworfene und vom Bundesgericht bestätigte Pflichtverletzung bestand darin, dass die Holding einer Tochtergesellschaft im Verlauf des Jahres 2000 ein ungesichertes Darlehen in der Höhe von CHF 1'500'000 gewährte, obwohl diese Tochtergesellschaft im Zeitpunkt der Darlehensgewährung bereits überschuldet war. Als Folge davon hat die Holding im Konkurs ihrer Tochtergesellschaft einen Verlust von CHF 1'165'000 erlitten (Schaden), was zu ihrem eigenen Konkurs führte. Der Schaden ist eine direkte Folge der Pflichtverletzung (adäquater Kausalzusammenhang) und der Verwaltungsrat hat nach Ansicht des Bundesgerichts die Pflichtverletzung zumindest fahrlässig begangen, denn er hätte wissen müssen, dass die Tochtergesellschaft überschuldet war (Verschulden).
Transaktionen innerhalb einer Unternehmensgruppe werden im Konkursfall überprüft
Das Bundesgericht hielt fest, dass Cash-Verschiebungen im Konzern bei der zahlenden Gesellschaft immer Mittelabflüsse darstellen und deshalb nur erfolgen dürfen, wenn Aussicht auf Rückzahlung besteht, auch wenn sich dies in der Bilanz der Holding lediglich als Verschiebung zwischen zwei Aktivkonti (Bank>Debitoren) niederschlägt. Einen schriftlichen Darlehensvertrag oder gar Sicherheiten gab es im vorliegenden Fall nicht. Vielmehr erfolgte die Vermögensverschiebung von der Holding zur Tochter laufend, was vom Verwaltungsratspräsidenten geduldet wurde. Da zudem nicht dargelegt werden konnte, dass der wirtschaftliche Gegenwert des Darlehens je wieder realisiert werden konnte (z.B. durch eine erfolgreiche Sanierung), qualifizierte das Gericht dies als eine Pflichtverletzung des Verwaltungsrates.
Der Verwaltungsrat muss die Abschlüsse hinterfragen, selbst wenn sie revidiert sind
Die revidierten Jahresabschlüsse der Tochtergesellschaft wiesen zwar weder per Ende 1999 noch per Ende 2000 eine Unterbilanz oder gar eine Überschuldung aus. Per Ende 2000 zeigte die Tochtergesellschaft mit CHF 724'627 bei einem Aktienkapital von CHF 710'000 sogar noch einen leichten Gewinnvortrag. Allerdings war die Bilanz per Ende 2000 nicht korrekt und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen waren Verbindlichkeiten für Ferien- und Überzeitguthaben im Umfang von CHF 538'736 nicht passiviert. Zum anderen war eine Forderung von CHF 4.2 Mio. aus einem Bauprojekt nur um CHF 1 Mio. anstatt um CHF 2.1 Mio. wertberichtigt worden. Per Ende 2000 resultierte somit anstatt des leichten Gewinnvortrags eine Überschuldung in der Höhe von nahezu CHF 1 Mio.
Der Verwaltungsrat muss die finanzielle Entwicklung der Gesellschaft laufend auf dem Radar haben
Die Mittelverschiebungen von der Holding zur Tochtergesellschaft erfolgten im Jahr 2000 laufend, weshalb kein genauer Zeitpunkt für die Darlehensgewährung fixiert werden konnte. Auch die zur Überschuldung führende finanzielle Entwicklung ereignete sich im Verlauf des Jahres 2000. Das Bundesgericht hielt nun fest, der Verwaltungsrat müsse eine prekäre finanzielle Situation nicht nur dann erkennen, wenn eine Bilanz darüber Aufschluss gebe, sondern auch soweit andere Alarmzeichen im Zusammenhang mit der Geschäftsentwicklung bestünden.
Der Verwaltungsrat muss bei Klumpenrisiken Alarmzeichen erkennen
In diesem Fall war nun entscheidend, dass die nicht genügend wertberichtigte Forderung vom Kunden schon im Februar 2000 bestritten wurde. Die Forderung resultierte aus einem Werkvertrag für den Neubau einer Klinik über pauschal CHF 14'170'000. Diesen Pauschalpreis hat die Tochtergesellschaft mit CHF 15'299'410 in Rechnung gestellt, also bereits hier überschritten. Zudem sind CHF 3'112'233 sowie CHF 2'668'730 für Nachforderungen und Nachträge fakturiert worden. Von Nachforderungen und Kostenüberschreitungen hat der Kunde nur CHF 308'797 anerkannt. Unter diesen Umständen hätte ein pflichtgemäss handelnder Verwaltungsrat dieses Klumpenrisiko schon im Februar erkennen und eine eingehende Abklärung über die Werthaltigkeit der Forderung veranlassen müssen, was nicht geschah. Stattdessen liess es der Verwaltungsratspräsident zu, dass die Tochtergesellschaft von der Holding weiterhin liquide Mittel erhielt, obwohl bezüglich der Werthaltigkeit ihrer Aktiven grosse Fragezeichen bestanden.
Bei der Bewertung von Debitorenausständen ist Vorsicht angezeigt
Die ausstehende Forderung von CHF 4.2 Mio. war im Jahresabschluss 2000 nur um CHF 1 Mio. wertberichtigt worden. Sie wurde demnach noch mit CHF 3.2 Mio. als Aktivum geführt. Das war für das Bundesgericht klar zu wenig. Es ging von einem Wertberichtigungsbedarf von 2.1 Mio. aus. Dabei stellte es auf eine Bewertung der Forderung durch eine spezialisierte Anwaltskanzlei ab, welche die Forderung mit CHF 2.1 bis CHF 2.9 Mio. bewertete. Weiter lag eine konkrete Offerte einer Drittpartei für einen Forderungskauf vor. Dort wurde ein Kaufpreis von CHF 1.5 Mio. zuzüglich 50% des Inkassoerfolgs offeriert. Die Forderung unter diesen Umständen nur mit CHF 1 Mio. zu berichtigen, war für das Bundesgericht klar zu wenig.
Stille Reserven müssen bei der Beurteilung der Überschuldung unberücksichtigt bleiben
Der in die Haftung genommene Verwaltungsratspräsident hielt weiter dagegen, die Tochtergesellschaft habe stille Reserven von CHF 5.5 Mio. in Form von angeblich unterbewerteten Liegenschaften gehabt. Diese Liegenschaften wurden allerdings letztmals 1996 bewertet. Sie wurden deshalb im Revisionsbericht per Ende 2000 - nur im Erläuterungsbericht und nicht als Aktivum - mit CHF 4'311'000 ausgewiesen. Damit war allerdings der Hinweis verbunden, dass die aktuelle Marktlage den Verkauf zum Schätzwert erschwere, weshalb auf den Einbezug der Bewertungsreserve zur Beurteilung der Finanzstruktur verzichtet werde. Das Bundesgericht erinnerte daran, dass stille Reserven eben gerade nicht bilanziert sind und nur entweder durch Verkauf oder durch eine Aufwertung gemäss Art. 670 OR aktiviert werden können. Letztes setzt aber einen besonderen Revisionsbericht voraus. Und weil der Verwaltungsratspräsident auch keine aktuellere Schätzung eingereicht hatte, mussten die von ihm behaupteten stillen Reserven bei der Beurteilung der Überschuldung unberücksichtigt bleiben.
Business Judgement Rule entlastet nicht immer
Die Business Judgment Rule besagt, dass sich Gerichte bei der Beurteilung unternehmerischer Entscheide Zurückhaltung auferlegen, wenn sie in einem korrekten Entscheidungsprozess und frei von Interessenkonflikten gefällt wurden. Sie schützt den Verwaltungsrat davor, beim Eingehen vertretbarer unternehmerischer Risiken in die Verantwortung genommen zu werden.
Bei Transaktionen im Konzernverhältnis gilt dies jedoch nur eingeschränkt, da die Konzernmutter die Geschicke der Tochtergesellschaften bestimmen kann und die unternehmerischen Unwägbarkeiten deshalb geringer sind. Weil der Verwaltungsratspräsident über die Holding gleichzeitig auch die Tochtergesellschaft kontrollierte, konnte er sich nicht auf die Business Judgement Rule berufen.