Mitwirkungspflichten des Kunden bei der Einführung von Software
In einem neueren Urteil äussert sich das höchste schweizerische Gericht zu den Mitwirkungspflichten des Kunden bei Einführungsprojekten im Zusammenhang mit Standardsoftware. Das Urteil ist für die Informatikbranche von grosser Bedeutung. Es hält unmissverständlich fest, dass die Parametrierung von Software sowie die Validierung von Modellen zur Datenmigration Aufgaben seien, die vom Lieferanten und vom Kunden nur gemeinsam erledigt werden können. Dies gilt selbst dann, wenn das im Vertrag nicht ausdrücklich festgehalten wird.
Sachverhalt
Im Juni 2000 schlossen der Lieferant und der Kunde einen Vertrag über die Einführung einer ERP-Software für Handelsunternehmen. Die Projektkosten für die Software und die Einführungsleistungen – Hardware war nicht Gegenstand des fraglichen Vertrags – wurden im Vertrag mit CHF 157'000.00 beziffert. Die Software wurde termingemäss installiert und die Mitarbeiter wurden in der Anwendung der Standardsoftware geschult. In der Folge kam es jedoch zu Verzögerungen bei der Datenmigration und der Anpassung der Standardsoftware an die Bedürfnisse des Kunden, welche durch Parametrierung vorgenommen wurde. Der Kunde verlangte die Verschiebung der auf Januar 2001 vorgesehenen Inbetriebnahme mit der Begründung, er habe die Software noch nicht testen können. Für die Terminverzögerungen machten sich Lieferant und Kunde gegenseitig verantwortlich. Schliesslich trat der Kunde im Dezember 2000 noch vor dem vorgesehenen Inbetriebnahmedatum vom Vertrag zurück und forderte die Rückerstattung der bis zu diesem Zeitpunkt bezahlten Entschädigung in Höhe von CHF 80'000.00.
Bundesgerichtliche Entscheidung
Das Einführungsprojekt ist ein Werkvertrag
Das Bundesgericht wendete auf das Vertragsverhältnis Werkvertragsrecht an. Der Grund für die Anwendung des Werkvertragsrechts – und nicht wie in einem früheren Entscheid des Kaufrechts – lag darin, dass das Gericht in der Anpassung der Standardsoftware an die Bedürfnisse des Kunden einen wesentlichen Vertragsbestandteil erblickte.
Rücktritt des Kunden vor Projektabschluss ist gegen volle Schadloshaltung zulässig
Im Zeitpunkt des Rücktritts des Kunden gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Standardsoftware oder die bis dahin erbrachten Projektleistungen mangelhaft gewesen wären. Ein Vertragsrücktritt infolge verzögerter oder vertragswidriger Ausführung gemäss Art. 366 OR kam deshalb zum vornherein nicht in Betracht und das Bundesgericht beurteilte den Rücktritt des Kunden deshalb gemäss Art. 377 OR.
Nach dieser Bestimmung kann der Kunde vor der Abnahme des Arbeitsergebnisses jederzeit vom Werkvertrag zurücktreten, allerdings nur gegen volle Schadloshaltung des Lieferanten. Diesen Entschädigungsanspruch verliert der Lieferant nur dann, wenn er durch sein vertragswidriges Verhalten in wesentlicher Weise zu den Ereignissen beigetragen hat, die den Kunden zum Vertragsrücktritt veranlassten. Das Bundesgericht prüfte nun anhand der konkreten Umstände, ob dem Lieferanten ein solches Fehlverhalten vorgeworfen werden konnte.
Der Kunde hat die Pflicht, bei der Parametrierung von Software und der Datenmigration mitzuwirken
Während sich die Pflichten des Lieferanten (Installation, Parametrierung, Datenübernahme) aus dem Vertrag selber ergaben, waren die Mitwirkungspflichten des Kunden nicht genügend klar definiert. Das Bundesgericht musste deshalb bezüglich des Inhalts der Mitwirkungspflichten auf allgemeine Grundsätze zurückgreifen. Es stützte sich dabei unter anderem auf Feststellungen eines Gutachters zur Branchenusanz.
Fest stand, dass die Parametrierung im Zeitpunkt des Rücktritts tatsächlich nicht abgeschlossen war und dass die Datenmigration noch nicht stattgefunden hatte. Daraus allein konnte dem Lieferanten aber noch kein Vorwurf gemacht werden. Das Gericht hielt nämlich fest, dass die Parametrierung eine Aufgabe sei, die vom Lieferanten und vom Kunden nur gemeinsam erledigt werden könne. Die Verantwortung dafür werde üblicherweise einem Projektausschuss übertragen, in welchem sowohl Kunde als auch Lieferant vertreten seien. Einzig der Kunde sei in der Lage, zu entscheiden, ob seine spezifischen Bedürfnisse durch die vom Lieferanten vorgeschlagenen Lösungen abgedeckt seien. Der Kunde müsse deshalb die Parametrierung abnehmen. Das Gleiche gelte für das Modell der Datenmigration. Der Kunde könne nicht in guten Treuen behaupten, er habe nicht gewusst, dass ihn diese Verpflichtungen treffen würden und es sei an ihm gewesen, diese Mitwirkungspflichten anlässlich der Vertragsverhandlungen zu spezifizieren. Nun könne er die Folgen seiner versäumten Mitwirkung nicht dem Lieferanten überbinden. In diesem Zusammenhang spielte eine Rolle, dass der Kunde es versäumt hatte, seine Bedürfnisse in einem schriftlichen Pflichtenheft zu definieren. Die Pflicht zur Erstellung eines Pflichtenheftes trifft gemäss dem Bundesgericht nämlich den Kunden.
Konsequenzen der mangelnden Mitwirkung des Kunden
Da feststand, dass die Parametrierung und die Datenübernahme durchaus vor dem geplanten Inbetriebnahmedatum hätten abgeschlossen werden können, wenn der Kunde auf seiner Seite genügend personelle Projektressourcen für die Mitwirkung bei der Parametrierung und der Datenübernahme zur Verfügung gestellt hätte, sah das Bundesgericht die Hauptverantwortung für das Scheitern des Projektes beim Kunden und nicht beim Lieferanten. Daraus folgte, dass der Kunde den Lieferanten schadlos zu halten hatte. Schliesslich wurde der Anspruch auf volle Schadloshaltung jedoch um 10% gekürzt, da der Lieferant den Kunden nicht schnell und energisch genug auf die Verletzung seiner Mitwirkungspflichten aufmerksam gemacht hatte.
Schlussfolgerungen
Aus diesem Entscheid können die folgenden Regeln abgeleitet werden:
- Die Parametrierung von Standardsoftware sowie die Erarbeitung des Modells zur Datenmigration sind Aufgaben, die vom Lieferanten und vom Kunden nur gemeinsam bewältigt werden können.
- Besteht ein Pflichtenheft, so ergeben sich die Anforderungen an die Parametrierung möglicherweise ganz oder teilweise aus diesem Dokument. Die Erstellung eines Pflichtenhefts ist jedoch Sache des Kunden. Unterlässt er dies, so sind an seine Mitwirkung umso höhere Anforderungen zu stellen.
- Der Kunde ist dafür verantwortlich, die vom Lieferanten vorgeschlagenen Lösungen abzunehmen. Er hat dafür genügend personelle Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
- Kommt der Kunde seinen Mitwirkungspflichten nicht nach, so muss der Lieferant zur Wahrung seiner Interessen den Kunden unverzüglich und klar abmahnen.