Kündigung von Dienstleistungsverträgen
Art. 404 Abs. 1 OR sieht das jederzeitige Kündigungsrecht für Dienstleistungsverträge vor. Die Bestimmung ist zwingend. Für auf lange Frist angelegt Dienstleistungsverträge (z.B. Outsoucing) ist das nicht sachgerecht. Solche Verträge sollten eine detaillierte Kündigungsregelung enthalten.
Bei der Kündigung von Verträgen über Dienstleistungen besteht im schweizerischen Recht eine Rechtsunsicherheit. Der Grund dafür liegt in Art. 404 Abs. 1 OR, der wie folgt lautet: “Der Auftrag kann von jedem Teile jederzeit widerrufen oder gekündigt werden.” Diese Bestimmung ist zwingend und darf weder ausgeschlossen noch eingeschränkt werden. Bei Verträgen, welche auf eine bestimmte Dauer geschlossen werden, kann das zu Überraschungen führen.
DER FALL
Die Vertragsparteien haben einen Vertrag über die Verwaltung eines Liegenschaftsportfolios abgeschlossen mit einem Vertragswert von über CHF 1 Mio. pro Jahr. Die Auftraggeberin hatte diese Aufgaben bisher selber wahrgenommen. Im Hinblick auf den Vertrag übernahm die Liegenschaftsverwaltung das bisherige Personal der Auftraggeberin. Dafür wählten die Parteien eine ungewöhnliche Konstruktion, um Mehrwertsteuern zu sparen. Das Personal zog zwar in die Büros der Liegenschaftsverwaltung um und diese übernahm auch die Führungs- und Organisationsverantwortung. Die Arbeitnehmer blieben jedoch bei der Auftraggeberin angestellt, wodurch sich die mehrwertsteuerpflichtige Entschädigung um die Lohnsumme (ca. CHF 500'000) reduzieren liess. Der Vertrag hatte eine feste Laufzeit von 5 Jahren und verlängerte sich anschliessend um jeweils 1 Jahr bei einer Kündigungsfrist von 12 Monaten. Für den Fall einer vorzeitigen Kündigung aus wichtigem Grund musste die kündigende Partei eine Entschädigung von CHF 200'000 zahlen. Bereits nach 2 Jahren kündigte die Auftraggeberin den Vertrag vorzeitig mit einer Frist von nur 2 Monaten. Das Bundesgericht erachtete die Kündigung unter Berufung auf Art. 404 Abs. 1 OR als zulässig und die Entschädigung von CHF 200'000 wurde der Auftragnehmerin aberkannt (BGer 4A_284/2013 vom 13. Februar 2014).
DIE RECHTSPRECHUNG DES BUNDESGERICHTS
In mehreren früheren Urteilen hat das Bundesgericht ähnlich entschieden, trotz Kritik aus der Praxis. Spielt bei einem Vertrag das Vertrauensverhältnis eine massgebende Rolle, gelangt Art. 404 Abs. 1 OR zur Anwendung. Ist das Vertrauensverhältnis von untergeordneter Bedeutung, gilt dies nicht und Verträge können für eine lange Vertragsdauer abgeschlossen werden. So konnte ein Franchisevertrag nicht vorzeitig gekündigt werden. Leider lässt die Rechtsprechung des Bundesgerichts Interpretationsspielraum. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass auch Kündigungsklauseln von komplexen Dienstleistungen wie IT-Outsourcing oder Facility Management angefochten oder sogar zu Fall gebracht werden können. Eine Vertragspartei kann auf dieser Basis versuchen, aus einem unliebsamen Vertragsverhältnis auszusteigen, ohne sich an die dafür vorgesehenen Modalitäten wie Kündigungsfristen oder -gebühren halten zu müssen.
RECHTSUNSICHERHEIT IN BEZUG AUF DIE KÜNDIGUNGSREGELUNG
Daraus resultiert in Bezug auf die Verbindlichkeit der Kündigungsregelung eine Rechtsunsicherheit. Davon sind Kunde und Dienstleister in gleichem Masse betroffen. Der Dienstleister muss in Anbetracht dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung jederzeit mit dem Verlust des Auftrags rechnen. Der Kunde muss darauf vorbereitet sein, dass er eine Leistung wieder selber erbringen muss, obwohl er sie an einen Dienstleister delegiert hat.
UNGÜLTIGE KONVENTIONALSTRAFEN
Wird Art. 404 Abs. 1 OR angewendet, so kann für den Fall einer vorzeitigen Kündigung auch keine Konventionalstrafe vereinbart werden. Gemäss Art. 404 Abs. 2 OR kann zwar Schadenersatz verlangt werden, jedoch nur im Umfang des negativen Interesses. Danach ist der Vertragspartner so zu stellen, wie wenn der gekündigte Vertrag nicht abgeschlossen worden wäre. Unter dem Titel des negativen Vertragsinteresses können nutzlose Aufwendungen geltend gemacht werden, nicht aber entgangener Gewinn. Die nutzlosen Aufwendungen sind im Einzelnen darzulegen. Echte Konventionalstrafen, welche durch die Kündigung ausgelöst werden, sind im Falle der Anwendbarkeit von Art. 404 Abs. 1 OR unzulässig.
ZULÄSSIGKEIT VON SCHADENSPAUSCHALEN
Möglich ist hingegen die Vereinbarung von Schadenspauschalen (im angelsächsischen Sprachgebrauch liquidated damages). Allerdings dürfen auch solche Schadenspauschalen nur das negative Vertragsinteresse entgelten. Der entgangene Gewinn für die Restlaufzeit kann deshalb auch nicht über eine Schadenspauschale eingefordert werden. Im Streitfall ist dann aber erforderlich, dass der Schaden detailliert dargelegt wird. Das wurde der Liegenschaftsverwaltung im eingangs dargelegten Fall zum Verhängnis – hat sie es doch bei der Geltendmachung der pauschalen Entschädigung gemäss Vertrag bewenden lassen.
GEFÄHRDETE VERTRÄGE
Das Bundesgericht nimmt für die Frage, ob Art. 404 Abs. 1 OR zwingend auf ein Vertragsverhältnis anwendbar ist, das Vertrauensverhältnis zum Massstab. Verträge, welche in besonderem Masse ein Vertrauensverhältnis voraussetzen, sind daher besonders gefährdet. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass Art. 404 Abs. 1 OR auch auf Outsourcing- und ASP-Verträge angewendet wird. Nimmt man wie das Bundesgericht das Vertrauensverhältnis zum Massstab, könnten insbesondere Verträge über Cloud Services gefährdet sein, weil die Übergabe der Daten in die Obhut des Datenbearbeiters Vertrauen voraussetzt. Weniger gefährdet dürften hingegen klassische Outsourcing- oder Facility Management-Verträge sein, bei welchen die zu erbringenden Leistungen im Detail spezifiziert sind und ausgeklügelte Messmechanismen mit Vertragsstrafen vereinbart werden. In solchen Verträgen hat das Vertrauensverhältnis keine tragende Funktion mehr.
EMPFEHLUNGEN ZUR VERTRAGSGESTALTUNG
Mit Blick auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung nur noch kurze Kündigungsfristen vorzusehen, ist weder angezeigt noch empfehlenswert. Ein Vertrag mit langfristigem Charakter soll auch langfristig gelten. Bei der Vertragsgestaltung ist aber auf Folgendes zu achten:
- Für auf lange Frist angelegte Dienstleistungsverträge sind weiterhin die angemessenen langen Kündigungsfristen zu vereinbaren.
- Ausführliche Verträge mit einer detaillierten Leistungsbeschreibung reduzieren das Risiko der Anwendung von Art. 404 Abs. 1 OR.
- Die Fälle, bei denen eine vorzeitige Kündigung aus wichtigem Grund möglich sein soll, sind detailliert aufzuführen (z.B. wesentliche Leistungsstörungen).
- Auf die Vereinbarung einer pauschalen Konventionalstrafe für den Fall einer vorzeitigen Kündigung ist zu verzichten. Werden "Termination Fees" vereinbart, wie sie bisweilen bei Werkverträgen praktiziert werden, müssen sie sich aus den effektiv entstandenen Kosten herleiten lassen.
- Die Folgen einer frühzeitigen Kündigung (d.h. das negative Vertragsinteresse) sollten im Vertrag selber möglichst detailliert beschrieben werden, z.B. durch betragsmässige Festlegung der Vorinvestitionen, des Abschreibungssatzes oder der Kosten für die Auflösung von Subunternehmerverträgen. Besondere Beachtung ist der Übernahme oder Kündigung von Mitarbeitenden zu schenken.