e:5.15 Störungen im Projektablauf
Störungen im Projektablauf sind unabhängig vom Tätigkeitsgebiet meist mit erheblichen Mehrkosten verbunden. Daraus resultierende Streitfälle können durch eine klare Risikozuordnung im Projektvertrag vermieden werden.
Ablaufstörung in Projekten
In Projekten entstehen meistens Prototypen oder Werke, welche nur einmal ausgeführt werden. Oft vereinbaren die Parteien dafür eine fixe Vergütung. Nachträgliche Bestellungsänderungen oder auch veränderte Ausführungsvoraussetzungen bei gleich bleibendem Resultat können zu einem Anspruch auf Anpassung dieser Vergütung führen. Dasselbe gilt, wenn die vertraglichen Grundlagen wie Prognosen oder Ausschreibungsunterlagen Fehler aufweisen und sich auf die Ausführung auswirken.
Projekte werden immer komplexer und haben verschiedensten Ansprüchen zu genügen. Meist sind neben dem Besteller und den ausführenden Unternehmern diverse weitere Beteiligte wie Architekten, Ingenieure, Berater oder Projektleiter involviert. Daneben können unvorhergesehene Ereignisse wie Wetter, Stromausfälle oder Streiks das Projekt beeinflussen. Projektverträge versuchen, diese Faktoren und deren Folgen (z.B. auf Kosten und Termine) möglichst umfassend abzubilden, wobei dies erfahrungsgemäss kaum je zu 100% gelingt.
Ein weiterer Störfaktor, welcher zunehmend an Bedeutung gewinnt, sind Pflichtverletzungen der für den Projektablauf Verantwortlichen: Der Besteller fällt Entscheide zu spät oder ändert bereits gefällte Entscheide, der Planer liefert Pläne zu spät oder ein Projektleiter koordiniert das Projekt ungenügend. Diese Pflichtverletzungen wirken sich auf das Verhältnis zwischen dem Besteller und dem oder den ausführenden Unternehmern aus und ziehen oft Termin- und Kostenfolgen nach sich.
Unternehmer machen in Projekten immer öfter Mehraufwand wegen Störungen des Projektablaufs geltend, für die sie den Besteller verantwortlich machen. Die Besteller wiederum versuchen, die Realisierungszeit des Projekts zu minimieren und gleichzeitig ihre Kosten zu optimieren. Dass dabei unterschiedliche Interessen aufeinanderstossen, ist offensichtlich.
Ablaufstörung aus juristischer Sicht
In der Schweiz existiert die «Ablaufstörung» nicht als juristischer Begriff. Sie stellt keinen eigenen Tatbestand dar, aus dem sich wie bei einer Bestellungsänderung, veränderten Ausführungsvoraussetzungen oder falschen Prognosen direkt ein Entschädigungsanspruch des Unternehmers herleiten lässt. Anders ist dies z.B. in Deutschland, wo bei Bauprojekten der Fall von Behinderungen und Unterbrechungen während der Ausführung konkret in § 6 der VOB/B geregelt ist. Nach heutigem Stand dürften Ablaufstörungen rechtlich eher zu einem Anspruch auf Ersatz eines zugefügten Schadens führen, denn als Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung zu qualifizieren sein. Wobei die Ansichten dazu nach wie vor umstritten sind.
Die Höhe der allfälligen Entschädigung besteht in den nachgewiesenen, effektiv angefallenen Mehrkosten. Ein Zuschlag für Risiko und Gewinn ist regelmässig umstritten, sofern es dazu keine vertragliche Vereinbarung gibt. Eine vertragliche Vereinbarung für die Abgeltung von Störungen im Projektablauf (und anderen Fehlleistungen des Bestellers) bildet z.B. Art. 58 Abs. 2 der Norm SIA 118. Diese Bestimmung sieht eine zusätzliche Vergütung bei besonderen Vorkommnissen vor, welche der Besteller verschuldet hat.
Mitwirkungspflichten und Mitwirkungsobliegenheiten
Damit ein von Ablaufstörungen betroffener Unternehmer einen Anspruch auf Bezahlung seines zusätzlichen Aufwandes erhält, muss er zuallererst eine Vertragsverletzung des Bestellers nachweisen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass sich die Pflichten des Bestellers klar aus dem Vertrag ergeben und dort auch als solche bezeichnet werden. Innerhalb gewisser Schranken können Risiken vertraglich grundsätzlich beliebig zugeordnet werden.
Bei IT-Verträgen versuchen Besteller regelmässig, ihre Mitwirkungspflichten als blosse Obliegenheiten darzustellen. Im Gegensatz zu Mitwirkungspflichten besteht bei der Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten kein durchsetzbarer Anspruch auf Erfüllung und damit auch kein Schadenersatzanspruch.
Ohne vertragliche Abrede ist für die Beurteilung von Ursache und Auswirkung einer Ablaufstörung entscheidend, welcher Risikosphäre eine solche zuzurechnen ist. Seitens Besteller können dies verspätet gefällte Entscheidungen, Verzug in der Lieferung der Plangrundlagen, mangelhafte Koordination, mangelhafte Leistungen eines Nebenunternehmers etc. sein. Dem Unternehmer zuzuordnen sind hingegen Ursachen, welche die Ausführung, Organisation und Überwachung seiner Leistungen betreffen.
Die Schwierigkeiten bei der Geltendmachung von Ansprüchen
In der jüngeren Vergangenheit haben sich zahlreiche Berater etabliert, die den Unternehmer bei der Herleitung und Begründung von Mehrkosten mit Hochrechnungen, basierend auf statistischen Grundlagen, unterstützen. Besteller behaupten im Gegenzug, dass nicht oder nur schwierig nachweisbare Folgen von eigenen Versäumnissen gar nicht eingetreten sind, berufen sich auf verletzte Anzeigepflichten oder konstruieren Gegenforderungen als Abwehrdispositiv.
Es ist in der Praxis sehr schwierig, den durch eine Störung verursachten Mehraufwand eines tatsächlichen Ablaufs einem hypothetischen Verlauf gegenüberzustellen und dabei zusätzlich eine oft noch unklar geregelte Verantwortungszuordnung zu berücksichtigen.
Nachzuweisen sind die Ursachen und deren Wirkung auf den Projektablauf im Vergleich zum theoretischen Verlauf bzw. zur Produktivität ohne die Störung. Dabei sind häufig komplexe Wechselwirkungen zwischen Ursachen, die den verschiedenen Einflusssphären zuzuordnen sind, zu berücksichtigen. Der Unternehmer trägt die Beweislast.
Steht der Vergütungsanspruch einmal fest, muss der effektive Mehraufwand, das heisst die Höhe der Mehrkosten, noch nachgewiesen werden. Es ist in vielen Fällen nicht möglich, z.B. die verursachten Produktivitätseinbussen lückenlos nachzuweisen. Ist das Führen eines strikten Beweises unmöglich oder unzumutbar, erlaubt die Rechtsprechung ausnahmsweise den sogenannten Wahrscheinlichkeitsbeweis (Beweiserleichterung). Aber auch dann muss der Unternehmer die Folgen der Störung immer noch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit belegen und (im Gerichtsfall) den Richter von der Korrektheit seiner geltend gemachten Ansprüche überzeugen können.
Entscheidend ist (für beide Seiten) eine möglichst lückenlose, sehr gut geführte Dokumentation aller Vorkommnisse während des Projekts, z.B. durch Tagesrapporte, Journale oder detaillierte Sitzungsprotokolle. Weiter ist zwingend, dass der Unternehmer Behinderungen im Ablauf rechtzeitig schriftlich anzeigt. Behinderungsanzeigen und Abmahnungen mögen in einem Projekt nicht stimmungsfördernd sein, sind aber unerlässlich.
Die Parteistandpunkte sind häufig diametral entgegengesetzt, so dass direkte Verhandlungen zwischen den Parteien oft zu keinem befriedigenden Ergebnis für den Anspruchsteller führen. Gerichte sind keine gute Alternative, da komplexe Projektabläufe kaum justiziabel sind. Gerichte neigen zur Vermeidung eines aufwendigen Beweisverfahrens dazu, die Ansprüche des Unternehmers an nicht erfüllten Anzeigepflichten oder ungenügend substantiierten Kausalketten und Kostennachweisen scheitern zu lassen. Schon deshalb ist eine gute Dokumentation zwingend.
Fazit
Ablaufstörungen sind bei grösseren Projekten kaum zu vermeiden. Deshalb ist es sehr wichtig, die folgenden Punkte zu beachten:
- Der vertraglichen Zuordnung von Risiken, der Pflichten im Projektablauf sowie der Schnittstellen in der Projektorganisation ist schon bei der Vertragsverhandlung grösstes Augenmerk zu schenken.
- Die Mitwirkungshandlungen des Bestellers sind als echte Mitwirkungspflichten und nicht als blosse Mitwirkungsobliegenheiten auszugestalten.
- Behinderungen und andere Störungen müssen sofort und schriftlich angezeigt werden. Dabei sind die Folgen, soweit zu diesem Zeitpunkt einschätzbar, bekanntzugeben.
- Der Projektablauf muss lückenlos dokumentiert werden.
- Gerichtsfälle sind langwierig, teuer und mit einem ungewissen Ausgang verbunden. Der Beizug von neutralen Fachpersonen im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens oder eines fachlich kompetenten Schiedsgerichts ist im Interesse beider Parteien einem Gerichtsfall vorzuziehen.