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e:3.16 Aus Verträgen aussteigen

Verträge müssen eingehalten werden. Das Schweizer Recht bietet jedoch gewisse Möglichkeiten, um sich aus vertraglichen Bindungen zu lösen. Pflichtverletzungen der Gegenpartei, Irrtum oder ausserordentliche Umstände können einen Ausstieg rechtfertigen. Allerdings gilt dies nicht gleichermassen für alle Verträge und alle Vertragsparteien.

Vereinbarte Ausstiegsrechte und -verbote: Vertragsfreiheit mit Grenzen

Das schweizerische Obligationenrecht ist grundsätzlich dispositiv, d.h. gesetzliche Regelungen können mit Vereinbarungen abgeändert werden. Das ist nur dort nicht möglich, wo Gesetz oder Rechtsprechung von sogenannt zwingenden Bestimmungen ausgehen. 

Dieses Prinzip gilt auch für den Ausstieg aus Verträgen. Vereinbaren die Parteien Regeln über einen vorzeitigen oder ausserplanmässigen Abbruch der Vertragsbeziehungen, sind diese grundsätzlich auch anwendbar. Die Ausnahme sind zwingende Bestimmungen beispielsweise im Konsumenten-, Arbeits- oder Mietrecht. Zum Schutz der schwächeren Partei gelten dort formale und materielle Mindestanforderungen (z.B. zwingende Fristen).

Umgekehrt gibt es Fälle, in denen die Parteien vereinbaren, dass und wie lange gerade nicht aus dem Vertrag ausgestiegen werden kann. Auch hier gibt es jedoch zwingende Bestimmungen, die eine solche Vereinbarung ausschliessen, z.B. können einfache Aufträge jederzeit von beiden Parteien aufgelöst werden (Art. 404 OR). Dasselbe gilt auch (nach heute noch bestehender Rechtsprechung) für gemischte Verträge mit Auftragselementen. Diese Rechtsprechung geht in dieser Absolutheit allerdings an der Realität vorbei. Beispielsweise gibt es keinen Grund, weshalb in Facility-Management-Verträgen eine Gesetzesbestimmung dem legitimen Bedürfnis beider Parteien nach einer Mindestvertragsdauer oder Kündigungsfristen entgegenstehen sollte.

Auch andere Verträge mit einer längeren Dauer können vorzeitig aus wichtigen Gründen gekündigt werden. Solche liegen vor, wenn für eine Partei die Bindung an den Vertrag nicht mehr zumutbar ist. Die Gründe können in Vertragsverletzungen bestehen, sonstiger wirtschaftlicher Natur sein oder die Persönlichkeit berühren. Allerdings müssen die Gründe schwerwiegend sein. So genügten beispielsweise kleinere Urheberrechtsverletzungen nicht, um den Vertrag, mit dem sich ein Detailhändler die Nutzung von Tierzeichnungen für seine Werbekampagnen sicherte, vorzeitig aufzulösen (Urteil des BGer 4A_598/2012).

Im «Uriella-Entscheid» (BGE 128 III 428) hat das Bundesgericht hingegen festgehalten, dass eine Mindestlaufzeit von 22 Jahren für ein zinsloses Darlehen die Persönlichkeit einer Darlehensgeberin in unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Sie konnte deshalb die Darlehen vor Ablauf der Mindestlaufzeit zurückfordern, dies insbesondere auch deshalb, weil sie mittlerweile aus dem Verein, für den das Darlehen bestimmt war, ausgetreten war. 

Verträge mit sehr langer Vertragsdauer können zudem gegen das Verbot der übermässigen Selbstbindung (Art. 27 Abs. 2 ZGB) verstossen. Ewige Bierlieferverträge mit Restaurants aus den Zeiten der Bierkartelle durften beispielsweise nach 20 Jahren gekündigt werden. Eine allgemein gültige maximal zulässige Vertragslaufzeit von Dauerverträgen gibt es heute nicht. Generell kann man aber davon ausgehen, dass Dauerverträge von 10 Jahren im Regelfall zulässig sind. Für Aktionärbindungsverträge in Familiengesellschaften erachtet die Literatur sogar eine Vertragsdauer von 20 bis 30 Jahren noch als zulässig (ob das sinnvoll ist, ist hingegen eine andere Frage).

Aussteigen aus nicht von der Gegenseite zu vertretenden Gründen

Eine Partei kann einen Vertrag für unverbindlich erklären, wenn sie beim Vertragsabschluss einem wesentlichen Irrtum erlegen ist (Art. 24 OR) oder von der anderen Partei getäuscht oder bedroht wurde (Art. 28 f. OR).

Die Möglichkeit, dass sich ein Vertragsverhältnis in eine andere Richtung als gedacht entwickeln kann, wird beim Vertragsabschluss oft ausser Acht gelassen. Ist im Vertrag nichts geregelt, müssen das Gesetz oder die Rechtsprechung eingreifen. Die Regeln sind dabei für verschiedene Arten von Verträgen unterschiedlich. 

Bei Kaufverträgen gilt: gekauft ist gekauft. Weder der Käufer noch der Verkäufer kann es sich «anders überlegen». Ein zeitlich beschränktes Widerrufsrecht besteht nur für Konsumenten bei sogenannten Haustürgeschäften (Art. 40a ff. OR). 

Bei Werkverträgen, z.B. für den Bau eines Gebäudes, das Programmieren einer Steuerung oder die Reparatur eines Maschinenteils, hat der Besteller die Möglichkeit, gegen Schadloshaltung des Unternehmers jederzeit vor Ablieferung des Werks vom Vertrag zurückzutreten, ohne dass er dazu einen besonderen Grund haben müsste (Art. 377 OR). In englischen Verträgen wird dies oft als «termination for convenience» bezeichnet. 

Der Unternehmer hat hingegen dieses Recht nicht! Auch wer sich im Preis verkalkuliert hat oder feststellt, dass ihm das Personal fehlt, muss liefern. Eine abgegebene Offerte kann also nicht einfach zurückgezogen werden.

Gesetz und juristische Literatur halten zwar gewisse Rettungsanker für den Unternehmer bereit (z.B. nicht voraussehbare Umstände, Art. 373 Abs. 2 OR). Solche Möglichkeiten hängen jedoch sehr stark vom Ermessen des Gerichts ab und kommen in der Wirtschaftspraxis eher selten vor. 

Ein Mieter (nicht hingegen der Vermieter) kann vorzeitig aus einem Mietvertrag aussteigen, wenn er einen zumutbaren Ersatzmieter vorschlagen kann (Art. 264 OR). 

Aussteigen bei Pflichtverletzungen des Vertragspartners

Das Obligationenrecht enthält Regeln für den Ausstieg aus Verträgen, wenn eine Partei ihre Pflichten nicht erfüllt. So ist dies beispielsweise bei einem zahlungsunfähigen Vertragspartner möglich (Art. 83 OR) oder wenn in bestimmten Fällen der Vertragspartner eine Leistung nicht annimmt (Art. 95 OR, Gläubigerverzug).

Ist eine Partei mit einem Vertragstermin in Verzug, kann die andere Partei nach Mahnung auf die noch nicht erbrachte Leistung verzichten, d.h. die bereits erbrachte Leistung behalten, oder vom Vertrag zurücktreten, d.h. die bereits erbrachte Leistung zurückgeben und die bezahlte Vergütung zurückfordern (Art. 107 OR). 

Ist ein gekaufter Gegenstand grob mangelhaft, kann der Käufer ebenfalls vom Vertrag zurücktreten (sog. Wandelung, Art. 205 OR). Auch der Verkäufer kann in bestimmten Fällen den Kaufgegenstand zurückverlangen, wenn der Käufer ihn nicht bezahlt (Art. 214 OR). Dasselbe gilt bei einer mangelhaften Werkleistung, bei Immobilien allerdings nur eingeschränkt (Art. 368 OR).

Umsetzen des Ausstiegs

Der Ausstieg aus einem Vertrag wird mit einer Kündigung oder einem Rücktritt umgesetzt. Meistens verstehen die Juristen eine Kündigung als eine Auflösung des Vertrags zum Kündigungszeitpunkt. Der Leistungsempfänger behält das bereits Geleistete und bezahlt dies auch. Laufende Arbeits- und Mietverträge werden immer mit Kündigung aufgelöst. Ein Rücktritt wirkt hingegen rückwirkend. Beide Parteien sollen so gestellt werden, als ob nie ein Vertrag geschlossen worden wäre. Das bedeutet, dass das Geleistete zurückgenommen und die Zahlungen zurückerstattet werden müssen. Für einen Anlagebauer kann dies von existentieller Bedeutung sein.

Im Regelfall entsteht für die Rückabwicklung eines Vertrags ein vertragliches Rückabwicklungsverhältnis mit vertraglichen Ansprüchen. Dies kann insbesondere beim Konkurs der Gegenpartei von Bedeutung sein. 

Empfehlungen zur Vertragsgestaltung

Kündigungs- und Rücktrittsklauseln in Verträgen sind wichtig. Folgendes ist bei der Vertragsgestaltung zu beachten:

  1. Bestehen zwingende gesetzliche Kündigungs- oder Rücktrittsvorschriften?
  2. Für welche Fälle und für welche Partei soll ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht bestehen, für welche Fälle nicht?
  3. Welche formalen Regeln sollen für einen Ausstieg gelten? Muss die Absicht vorgängig angezeigt und eine Frist gesetzt werden?
  4. Welches sind die finanziellen Folgen eines Rücktritts oder einer Kündigung?
  5. Was muss in Verträgen mit Subunternehmern oder Arbeitnehmern vorgesehen werden? Können diese auf den Kündigungszeitpunkt ebenfalls aufgelöst werden?

Das Vertragsrecht und die Vertragsgestaltung sind unsere Kernkompetenzen. Wir unterstützen Sie gerne praxisgerecht, rasch und effizient.

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