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e:2.15 Verstärkter Schutz bei ungerechtfertigter Betreibung

In der Schweiz kann jedermann ohne weiteres eine Betreibung gegen eine andere Person einleiten. Der Schuldner kann die Betreibung zwar durch einen Rechtsvorschlag stoppen, womit die Betreibung vorläufig eingestellt wird. Sie bleibt aber weiterhin im Betreibungsregister sichtbar, solange sie nicht vom Gläubiger zurückgezogen oder vom Gericht aufgehoben wird. Für letzteres muss der Schuldner in aller Regel mit
einer sogenannten «negativen Feststellungsklage» ans Gericht gelangen. Die Voraussetzungen dafür waren sehr hoch. Bis jetzt.

Das Bundesgericht hat mit Urteil vom 16. Januar 2015 (4A_414/2014) die Voraussetzungen für die Erhebung einer negativen Feststellungsklage wesentlich gelockert. Dies hat einen weitreichenden Einfl uss auf das Betreibungsverfahren, welcher hier erläutert wird.

DER FALL

Eine Gesellschaft hat gegen einen potentiellen Schuldner Betreibung in Höhe von rund CHF 40'000 eingeleitet. Der Schuldner erhob daraufhin Rechtsvorschlag und reichte eine negative Feststellungsklage ein mit dem Rechtsbegehren auf Feststellung, dass die in Betreibung gesetzte Forderung nicht bestehe.

Für die Zulassung der negativen Feststellungsklage ist ein sogenanntes «Feststellungsinteresse» erforderlich. Bisher lag ein solches nur vor, wenn der Schuldner aufgrund der Betreibung in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit erheblich behindert wurde. Dies war z.B. dann der Fall, wenn Dritte wegen des Betreibungsregistereintrags an der Kredit- und Vertrauenswürdigkeit des Schuldners zweifelten und dieser auf einen «sauberen» Auszug aus dem Betreibungsregister angewiesen war.

Das Bundesgericht hat vorliegend in letzter Instanz die negative Feststellungsklage gutgeheissen und dabei eine Praxisänderung herbeigeführt. Neu ist es nun für die Erhebung einer negativen Feststellungsklage nicht mehr notwendig, dass beim Schuldner solche besonderen Umstände vorliegen. Stattdessen ist das Feststellungsinteresse des Schuldners nun grundsätzlich zu bejahen, sobald eine Forderung gegen ihn in Betreibung gesetzt wurde.

SCHLUSSFOLGERUNGEN AUS DEM BUNDESGERICHTSENTSCHEID

Feststellungsinteresse gegeben

Ein Feststellungsinteresse des Schuldners ist nun bei Vorliegen einer Betreibung immer zu bejahen. Nicht mehr verlangt wird ein konkreter Nachweis, dass die betroffene Person durch die Betreibung in ihrer wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit beeinträchtigt wird. Das heisst also, dass jeder betriebene Schuldner beim zuständigen Gericht eine negative Feststellungsklage in Bezug auf die in Betreibung gesetzte Forderung einleiten kann.

Ausnahme: Betreibung zur Verjährungsunterbrechung

Ausnahme dieser neuen Praxis ist einzig der Fall, wenn die Betreibung zur Unterbrechung der Verjährung eingeleitet wurde. Dafür müssen gemäss dem Bundesgerichtsurteil folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

- die Betreibung wurde nachweislich einzig zur Unterbrechung der Verjährung einer Forderung nach Art. 135 Ziff. 2 OR eingeleitet; 

- die Betreibung wurde eingeleitet, nachdem der Schuldner die Unterzeichnung einer Verjährungsverzichtserklärung verweigert hat; und

- die Forderung kann vom Gläubiger aus triftigen Gründen nicht sofort in vollem Umfang gerichtlich geltend gemacht werden.

KONSEQUENZEN IN DER PRAXIS

Klagerecht des Schuldners

Durch die Praxisänderung des Bundesgerichts ist es dem Schuldner nun einfacher möglich, sich gegen ungerechtfertigte Betreibungen zur Wehr zu setzen. 

Trotzdem bestehen immer noch zahlreiche Hürden: So muss sich der Schuldner nach wie vor mit einer gerichtlichen Klage wehren. Dafür muss er zuerst einen Kostenvorschuss leisten. Die Höhe des Kostenvorschusses hängt von der Höhe der in Betreibung gesetzten Forderung ab. Gerade bei einer ungerechtfertigten Betreibung werden oft (zu) hohe Beträge in Betreibung gesetzt. Entsprechend hoch ist der Kostenvorschuss. Zudem können Gerichtsverfahren sehr lange dauern.

Parlamentarische Initiative

Abate Auch das Parlament hat Handlungsbedarf identifiziert. Die parlamentarische Initiative 09.530 (Abate; Löschung ungerechtfertigter Zahlungsbefehle) fordert eine Möglichkeit, ungerechtfertigte Betreibungen auf rasche Weise löschen zu können. Der Initiative wurde Folge gegeben. Sie wird voraussichtlich in der Sommersession vom Nationalrat beraten. Die erfolgte Praxisänderung des Bundesgerichts nimmt gewisse Elemente des Gesetzesentwurfs faktisch vorweg. Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen dies auf die Umsetzung der Initiative haben wird.

Erhöhtes Risiko des Gläubigers

Wer eine Betreibung einleitet, setzt sich durch die neue Praxis einem höheren Risiko als bisher aus, ungewollt in einen Prozess hinein gezogen zu werden. In einem entsprechenden Verfahren trägt der betreibende Gläubiger die Beweislast. Er muss beweisen, dass die in Betreibung gesetzte Forderung tatsächlich besteht und fällig ist.

Das Verfahren betreffend negative Feststellung hat die volle Wirkung eines normalen Zivilprozesses. Unterliegt der Gläubiger, bedeutet dies, dass die in Betreibung gesetzte Forderung nicht besteht. Folglich kann der Gläubiger nicht zu einem späteren Zeitpunkt erneut in einem Gerichtsverfahren geltend machen, dass ihm diese Forderung zusteht.

Notbremse: Rückzug

Dem Gläubiger bleibt noch die Möglichkeit, die Betreibung zurückzuziehen. Dadurch entfällt das Feststellungsinteresse des Schuldners, sprich das Gerichtsverfahren wird hinfällig. Doch auch in diesem Fall muss der Gläubiger die Gerichtskosten allenfalls vollständig übernehmen und dem Schuldner eine Prozessentschädigung zahlen, wenn auch mangels Aufwand in einem reduzierten Umfang.

Zurückhaltung bei Betreibungen ist angebracht

Gerade bei schwieriger Beweislage kann es für den Gläubiger aufgrund dieser Risiken ratsam sein, auf eine Betreibung zu verzichten. Stattdessen ist einem Gläubiger vermehrt zu empfehlen, eine ordentliche Klage zu prüfen, ohne zuvor die Betreibung einzuleiten. Bei diesem Vorgehen kann er nämlich eigenständig bestimmen, wann er den Beweis der Forderung in einem Gerichtsverfahren antreten will. 

Ende der Schikane-Betreibungen?

Schikane-Betreibungen ohne jegliche tatsächliche Grundlage sind aufgrund der neuen Praxis mit noch grösseren Risiken verbunden als bisher. Ergreift der betriebene Schuldner die negative Feststellungsklage, so hat er sie praktisch gewonnen und der betreibende Gläubiger muss die Gerichtskosten tragen und eine Prozessentschädigung zahlen. Ein Beispiel: Das Kostenrisiko für eine Klage über CHF 1'000'000 beträgt im erstinstanzlichen Verfahren im Kanton Zürich ca. CHF 80'000 - 100'000.

Der Sonderfall der Unterbrechung der Verjährung

Durch eine Betreibung wird die Verjährung unterbrochen. Dieses Ziel der Verjährungsunterbrechung ist ein vom Bundesgericht weiterhin anerkannter Grund, um eine Betreibung einzuleiten. In einem derartigen Fall kommt die neue Praxis nicht zur Anwendung. Dies aber nur unter den bereits erwähnten Voraussetzungen.

EMPFEHLUNGEN

  • Betreiben Sie niemanden «grundlos», das könnte nämlich teuer werden.
  • Betreiben Sie nur Forderungen, die Sie auch beweisen können.
  • Prüfen Sie in heiklen Fällen, ob Sie anstatt einer Betreibung eine ordentliche Klage erheben können.
  • Wollen Sie die Verjährung unterbrechen, müssen Sie sich früh genug um einen Verjährungsverzicht bemühen und Ihre Bemühungen schriftlich festhalten. Ebenso müssen Sie dokumentieren, weshalb Sie im Zeitpunkt der Betreibung noch nicht im Stande sind, Ihre Forderung gerichtlich geltend zu machen.
  • Führen Sie solche negativen Feststellungsverfahren nicht selber. Holen Sie sich dafür die Unterstützung eines Anwalts.

Wir sind mit dem relevanten Rechtsgebiet vertraut und unterstützen Sie gerne praxisgerecht, rasch und kosteneffizient.

epartners Rechtsanwälte AG

Vanessa Niedermann